Verantwortung

VonJudith Mücke

Verantwortung

DSCF4535Bevor Sie diesen Artikel lesen, definieren Sie doch mal aus dem Stehgreif den Begriff Verantwortung

 … Verantwortlich sein, in die Verantwortung gehen, Verantwortung übernehmen oder übertragen bekommen, überverantwortlich oder verantwortungslos sein, in der Selbstverantwortung sein, Verantwortungsbewusstsein usw. – was meinen wir eigentlich damit? Was bedeutet Verantwortung? Was bedeutet es, für die eigenen Gefühle und das eigene Leben verantwortlich zu sein? Und wie macht man das? Wodurch zeichnet sich ein Verantwortungsgefühl aus? Ist Verantwortung ein bestimmter Gedanke, eine innere Haltung, eine Tat oder ein Gefühl? Wofür bin ich eigentlich alles verantwortlich? Und wo endet meine Verantwortung? Macht uns Verantwortung unfrei? Schwächt sie uns? Oder macht uns Verantwortung stark?

Als ich mich zum Schreiben an diesen Blogbeitrag setzte, da kamen mir all diese Fragen. Ich muss zugeben, dass ich keine hochoffizielle Definition zu diesem Begriff in meinem Kopf hatte, zu einem Wort, das ich jedoch ständig benutze. Und als ich meine Mitmenschen danach fragte, ging es ihnen ähnlich. Jeder sagte irgendetwas anderes. Das fand ich interessant …

Für mich bedeutet es inzwischen folgendes: Selbstverantwortung heißt, ich trage die Konsequenzen für all meine Entscheidungen. Und dabei würde ich sogar soweit gehen, dass ich sage: alles, was in meinem Leben passiert, habe ich bewusst oder unbewusst selbst irgendwann einmal entschieden.

Diese Haltung ist zwar etwas gewagt, jedoch hat sie zwei entscheidende Vorteile. Es gibt keine Opferhaltung mehr, die mich extrem schwächen würde, sondern nur viele Möglichkeiten, etwas zu lernen. Und es gibt keine Schuld mehr, die ich jahrelang ausbaden oder ständig auf andere projizieren müsste. Stattdessen gibt es Fehlentscheidungen, die ich verändern und berichtigen kann.

Nach dem Motto:

Verantwortlich statt schuldig! Verantwortung statt Opferdasein!

In meinem Arbeitsalltag begegne ich dem Thema Verantwortung auf unterschiedliche Art und Weise:

Ein sehr verbreitetes Verhaltensmuster ist es, dass sich ein Mensch für einen anderen Menschen (meistens Mutter oder Vater) verantwortlich fühlt.

Wenn sich jemand für einen anderen Menschen verantwortlich fühlt, dann sagt er nach der o.g. Definition: Ich trage die Folgen für die Entscheidungen, die du in deinem Leben getroffen hast. Das würde bedeuten: Ich lerne für dich aus den Fehlern deiner Vergangenheit und korrigiere deine Entscheidungen. Geht denn das?

Ich habe noch niemanden getroffen, dem das gelungen ist, jedoch habe ich schon viele Menschen getroffen, die es seit vielen Jahren versuchen. In den Aufstellungen kann man dann sehr deutlich sehen, wie belastend dieser Versuch sein kann, und dass dies (leider) niemandem von Nutzen ist.

Wir können unseren Eltern, Partnern, Freunden usw. das Lernen aus dem eigenen Schicksal nicht abnehmen. Im Laufe der Jahre kann solch ein Vorhaben zu einer sehr beschwerlichen Last werden, die uns vielleicht irgendwann an den Punkt bringt, an dem wir sagen (müssen): Mama, Papa … – ich achte dein Schicksal und all deine Entscheidungen und lasse alles, was zu dir gehört bei dir! Ich bin nur für mein Leben verantwortlich.

Eine andere Verhaltensweise in Bezug auf Verantwortung beobachte ich auch oft: sich weigern, in die Verantwortung zu gehen.

Um sich aus eigenen belastenden Situationen zu lösen, braucht es die Bereitschaft, in die Selbstverantwortung zu gehen, das heißt: man wendet sich sich selbst zu, um aus der Vergangenheit zu lernen und um neue Entscheidungen treffen zu können. Ich habe beobachtet, dass Menschen, die sich gegen diese Selbstverpflichtung wehren, immer einen triftigen Grund haben. Sie empfinden Verantwortung als etwas, was zu all ihrer Last und Anstrengung noch hinzu kommt und sie fürchten, dass dies ihre Kapazitäten übersteigen wird. Diese Weigerung stellt sich für mich immer als nachvollziehbarer Selbstschutz dar. Doch wovor schützt man sich da eigentlich?

Wenn ich in der Selbstverantwortung bin, dann wende ich mich mir zu und schaue, was zeigt sich da in mir, was will anders gemacht werden, was muss ich lernen oder verlernen, was brauche ich, dass es besser wird? Muss ich mich vor meiner liebevollen Zuwendung schützen? Natürlich nicht, aber durchaus manchmal davor, was sie in mir auslösen kann. Denn Selbstverantwortung kann uns in unangenehme Gefühle der Vergangenheit führen und an Orte, die wir meistens vor uns selbst verborgen halten, wo wir vielleicht folgenschwere Entscheidungen getroffen haben …

Und noch eine andere Variante, der ich immer wieder begegne, die Überverantwortung. Bei Menschen, die zur Überverantwortung neigen habe ich zwei interessante Aspekte beobachtet. Der Erste ist, dass sie dazu neigen, ständig ihre Aufmerksamkeit zu ihren Mitmenschen zu lenken. Und zweitens neigen sie dazu, sich stets um das zu kümmern, was um sie herum passiert. Ist jemand überverantwortlich, dann ist er in erster Linie nicht gut bei sich und braucht deshalb immer eine gewisse Kontrolle, um sich zu schützen.

Hier bedeutet Verantwortung eher: Ich kümmere mich um dich und darum, dass es dir gut geht. Ich kümmere mich darum, dass alles um uns herum gut ist oder wird. Und ich verpflichte dich, die Dinge so zu tun, wie ich es für richtig halte. Ist das Verantwortung? Mache ich das für den anderen oder in letzter Konsequenz für mich selber?

Wer nicht gut bei sich bleiben kann, der findet oftmals kein Gleichgewicht zwischen der eigenen Individualität und der Umwelt. Nicht selten wird aber auch die Außenwelt und die Hilfe, die ständig dorthin angeboten wird, als Ersatz für den fehlenden Kontakt zum Eigenen und zu unseren Eltern, benutzt. Kann die eigene Individualität mit der Umwelt nicht vereinet werden, weil das Außen und das Innen anscheinend nicht zusammen passen, dann wird man unweigerlich damit beginnen, seine Umwelt zu kontrollieren bzw. sich ihr anpassen. Überverantwortung ist eine instinktive ausgleichende Reaktion auf Unverbundenheit. Es stellt den Versuch dar, die Umwelt an das Eigene anzupassen und es ist nicht zuletzt eine Schutzmaßnahme, um nicht (wieder) verletzt zu werden.

So könnte man sagen: Wenn Verantwortung der Fluss ist, dann ist Überverantwortung eine Überschwemmung.

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Judith Mücke administrator

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